Verhandlungen um die Erklärung der Rechte indigener Völker

Im starken Gegensatz zum Rest der Zeit, die ich bisher in Genf verbracht habe, war diese Woche sehr ereignisreich. Das hängt vor allem damit zusammen, dass sich eine hochrangige UN-Arbeitsgruppe getroffen hat, um über den Entwurf einer Erklärung über die Rechte indigener Völker zu beraten. Da ich am Anfang meines Praktikums gut verhandelt hatte, bekam ich nun das Privileg, als Beobachter der ILO an den Plenarsitzungen sowie zahlreichen informellen Treffen teilzunehmen.

Von den beiden letzten Wochenenden habe ich einen erheblichen Teil im Büro verbracht. An den Wochentagen bemühte ich mich neben der Teilnahme an den Sitzungen auch darum, die Fellows bei ihren unterschiedlichen Aufgaben zu betreuen, so dass ich oft nicht einmal die Zeit fand, meine E-Mails zu lesen.

Das Gebäude der ILO an einem Samstagmorgen.

Das Gebäude steht im Grünen. Das folgende Bild ist vom gleichen Standort aus fotografiert, nur in die andere Richtung. Die Pferde auf diesem Gehöft höre ich bei der Arbeit gelegentlich wiehern.

Nun jedoch zu den Sitzungen der Arbeitsgruppe. Der hier diskutierte Entwurf einer Erklärung der Rechte indigener Völker hat eine lange Geschichte, die ich hier nicht wiedergeben kann, genauso wenig wie den Verlauf der Verhandlungen. Dennoch werde ich kurz meine Eindrücke wiedergeben. Die Verhandlungen begannen vor mehr als 15 Jahren. Viele Hoffnungen haben sich auf diese Erklärung gerichtet und tausende Vertreter indigener Völker, Regierungen, indigene Organisationen überall auf der Welt, spezialisierte UN Organisationen und unabhängige Experten haben am Prozess der Beratung teilgenommen. Die Erklärung enthält sehr weitgehende Rechte, insbesondere das Recht indigener Völker auf Selbstbestimmung, was im internationalen Recht bisher Staaten vorbehalten ist und im Prinzip auch die Möglichkeit der Sezession und eines souveränen Staates enthält. Für viele Staaten mit indigenen Völkern ist diese Aussicht eher bedrohlich und sie fürchten – in manchen Fällen nicht völlig zu unrecht – um den Kern ihrer Staatlichkeit, die territoriale Integrität. Weitere kritische Elemente sind umfassende Rechte in Bezug auf Land und natürliche Ressourcen. Die Erwartungen indigener Völker sind im Verlauf dieses Prozesses zunehmend enttäuscht worden, da eine kleinen Gruppe von Regierungen systematisch verhindert, dass die Erklärung in ihrem Kerngehalt angenommen wird. Zu dieser Gruppe gehören insbesondere die USA, Russland, Großbritannien und Frankreich. Diese Woche nun wurde als entscheidend angesehen und das Ziel war, am Freitag die Erklärung anzunehmen. Nicht zuletzt, weil der Zeitplan keine Verlängerung vorsieht und der Prozess vollständig gescheitert sein könnte, sollte es diesmal nicht klappen. Außerdem geht in diesen Wochen die internationale Dekade der indigenen Völker zu Ende und der moralische Druck auf Regierungen ist größer als sonst. Nach all den Jahren der Verhandlungen hatte aber kaum jemand große Hoffnung, dass es zur Annahme des Textes kommen würde. Und so kam es auch.

Interessant war für mich nicht so sehr das Ergebnis, sondern der Prozess. Der Auftakt war am letzten Wochenende, wo sich die Vertreter indigener Völker trafen, um die Strategie für die kommenden Verhandlungen zu beratschlagen. Mehr als hundert Personen aus allen Teilen der Welt nahmen teil und ich hatte das Privileg, vielen von ihnen von meiner Chefin vorgestellt zu werden. Die Diskussionen waren geprägt von einem für mich beeindruckenden Maß an Sachverstand sowie gegenseitigem Respekt und dem Willen, zu einer geeinigten Position zu finden.

Montag war dann der erste Tag der Sitzungen in einem großen Plenarsaal der UN. Nach der Eröffnung der Sitzung ergriff eine Gruppe von indigenen Vertretern das Wort und erklärte, sie würden in Hungerstreik treten, um auf die Blockadehaltung bestimmter Regierungen hinzuweisen. Anschließend sang ein anderer Vertreter ein Gebet um die Geister günstig zu stimmen und alle Teilnehmer einschließlich der Regierungsvertreter erhoben sich respektvoll. Dieses Element scheint für Sitzungen dieser Arbeitsgruppe zur Standardprozedur zu gehören und dürfte sie von anderen Arbeitsgruppen erheblich unterscheiden. Nur der Vertreter der russischen Regierung lümmelte sich demonstrativ in seinem Sessel. Anschließend ergriff er das Wort um darauf hinzuweisen, dass Hungerstreiks und religiöse Manifestationen weder auf der Tagesordnung stehen noch zum Mandat der Arbeitsgruppe gehören und daher unterlassen werden sollten.

Plenarsaal. Auf der Tribüne sitzen der Vorsitzende sowie das Sekretariat, welches vom Büro des Hochkommissars für Menschenrechte gestellt wird. Im mittleren Teil sitzen die Vertreter der Regierung und internationalen Organisationen, während an den äußeren Tischen die indigenen Vertreter sowie Repräsentanten zahlreicher NGOs und Medien sitzen. Hinter den Fenstern auf den Rängen sitzen Übersetzer.

Hungerstreikende.

Religiöse Manifestation.

Wie gesagt, ich will nicht in die Details gehen. Im Tagesverlauf werden im Plenum unterschiedliche Elemente der Erklärung diskutiert. Manchmal handelt es sich um zentrale Fragen wie die Substanz des Rechtes auf Selbstbestimmung. Bei anderen Gelegenheiten handelt es sich um scheinbar triviale Diskussionen über den Wortlaut einzelner Artikel, wie etwa die Frage, ob es „the land“ oder „their land“ heißen sollte. Bei vielen Gelegenheiten bin ich beeindruckt von dem bemerkenswerten Maß an intellektueller und rhetorischer Brillanz verschiedener Vertreter indigener Völker. Was sich hier abspielt steht in starkem Kontrast zu meinen Erfahrungen mit indigenen Völkern in Kambodscha, die vom Staat und dessen Vertretern eingeschüchtert sind und um ihre Rechte bestenfalls vorsichtig bitten. Es sind viele Professoren und Rechtsanwälte hier und oft zeugen deren Beiträge von einem viel detailierteren Verständnis der Erklärung im Besonderen und des internationalen Recht im Allgemeinen. Die Debatten verlaufen äußerst diszipliniert.

Neben den Plenarsitzungen und parallel dazu finden ständig informelle Sitzungen statt, an denen ich oft teilnehme. Meistens handelt es sich um regionale oder globale Treffen, während derer indigener Vertreter ihre Positionen abstimmen. Gelegentlich finden auch Sitzungen statt, an denen Regierungen teilnehmen. Bei diesen Sitzungen scheint die Grenze zwischen beidem gelegentlich zu verschwimmen und manche Regierungsvertreter reden relativ offen über ihre Positionen und Strategien. Oft werden bestimmte Themen auch bei einem Kaffee in der Cafeteria besprochen. Diese Sitzungen sind sehr interessant, weil sie tiefe Einblicke in die sehr unterschiedlichen Situationen und Interessen der Staaten und indigenen Völker erlauben. Verschieden Gruppen vor allem in den Amerikas haben im Verlauf der letzten Jahre relativ weitgehende Rechte erkämpft und sind nicht an einer Erklärung interessiert, deren Rechte hinter die Gesetzgebung der Länder zurückfällt, in denen sie leben. Im Gegensatz dazu gibt es etwa in Asien und Afrika für indigene Völker keine Rechte, hinter die die Erklärung zurückfallen könnte. Aus nord- und südamerikanischen Ländern sind zahlreiche Vertreter gekommen, die sehr bestimmt auf ihre Rechte pochen. Aus Asien kommen weit weniger Teilnehmer. Manche von ihnen haben früher im Guerillakampf mit den Armeen der Staaten gerungen, denen sie hier gegenüber sitzen und einige leben als Flüchtlinge im Ausland, da sie in ‚ihren’ Ländern als politische Kriminelle oder Terroristen gelten. Aus nahe liegenden Gründen sind ihre Bestrebungen und auch die Verhandlungen um die Erklärung seit dem 11. September schwieriger geworden. Ich zähle ganze drei Vertreter aus afrikanischen Ländern. Trotz der erheblichen Unterschiede ist bemerkenswert, mit welcher Geduld sich alle indigenen Vertreter auf gemeinsame Positionen zu verständigen suchen und sie sind damit meistens sehr viel erfolgreicher als die Regierungen auf der anderen Seite des Tisches. Ob es einen Unterschied macht ist allerdings nicht sicher, denn am Ende sind es die Regierungen, die allein über die Rechte indigener Völker entscheiden. Obwohl die Vertreter indigener Völker sehr zahlreich sind, bekomme ich den Eindruck, dass sich die meisten gegenseitig sehr gut kennen und dass viele von ihnen sich schon oft bei solchen oder ähnlichen Gelegenheiten getroffen haben. Zusammengenommen ist es für mich eine faszinierende Möglichkeit, ein besseres Verständnis der Arbeitsweise der UN zu entwickeln. Gleichzeitig lerne ich viele sehr interessante Leute kennen. Montagabend hat meine Chefin viele Teilnehmer zu sich nach hause eingeladen, wo ich Gelegenheit habe, mit einigen von ihnen zu sprechen. So vergehen Montag und Dienstag.

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