Heute ist Sonntag. Obwohl ich erst vor einer Woche angekommen bin, kommt es mir vor, als wäre ich schon lange hier und Ereignisse, die vor meiner Abfahrt stattfanden, scheinen schon viel weiter zurückzuliegen. Ich schlafe gründlich aus und frühstücke ausführlich. Anschließend lese ich einige der Texte, die mir als Einführung in meine neue Tätigkeit empfohlen wurden.
Nach einem improvisierten Mittagessen mache ich mich dann zu Fuß auf den Weg zum Genfer Hauptquartier der UNO. Dieses befindet sich in ummittelbarer Nachbarschaft der ILO und zahlreicher anderer internationaler Organisationen. Ich habe erfahren, dass hier täglich Führungen stattfinden und mich entschlossen, heute an einer solchen teilzunehmen. Ich habe Glück, denn nachdem es nachts und vormittags kräftig geregnet hat, scheint nun die Sonne.
Das ist offenbar das ziemlich moderne Gebäude einer katholischen Kirche. Es befindet sich etwa 200 Meter von meiner gegenwärtigen Unterkunft und meine erste Unterkunft, das International Hostel, ist gleich um die Ecke.
Rechts ist der Hauptbahnhof. Geradezu ist die Stadtmitte und selbst von hier kann man die Fontäne erkennen. Die Berge im Hintergrund gehören schon zu Frankreich.
Das Gebäude der World Meteological Organization, auch ‚Big Liar’ genannt.
Das Gebäude des UN Hochkommissariats für Flüchtlinge. Von hier werden Flüchtlingslager überall auf der Welt organisiert und verwaltet.
Der Haupteingang der UNO, welcher allerdings Mitarbeitern vorenthalten ist. Besucher benutzen den Seiteneingang einige Hundert Meter von hier.
Wie ich schon erwähnte, befindet sich in diesem schönen Gebäude ein Porzellan- oder Keramikmuseum. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe der UNO, deren Gebäude im Hintergrund zu sehen ist. Warum das so ist wird mir nicht klar.
Ich bin froh zu erfahren, dass Führungen auch sonntags stattfinden und noch mehr, dass eine englischsprachige Führung in zehn Minuten beginnen wird. Aus Sicherheitsgründen wird meine Tasche gescannt und ich muss meinen Reisepass abgeben. Der Gebäudekomplex liegt in einem Park, in dem einige Pfauen frei herumlaufen.
Dann beginnt die Tour, die von einem jungen Mann geleitet und kommentiert wird. Etwa 12 Personen nehmen daran teil. Zunächst erhalten wir einen Überblick über den organisatorischen Aufbau des UN Systems.
Von hier oben hat man einen privilegierten Blick über den Genfer See und den Mont Blank im Hintergrund.
Dieser Sitzungsraum befindet sich im neueren Teil des Gebäudes. Der größte Teil des Komplexes wurde vor dem Zweiten Weltkrieg für den Völkerbund gebaut und weitere Gebäude wurden später für die UNO ergänzt.
Rechts ist der alte Gebäudekomplex, links der neue. In der Mitte ist der Genfer See und rechts im Hintergrund der Mont Blank, teilweise von Wolken verdeckt.
Die Skulptur in dem kleinen Teich stellt eine Weltkugel dar und ist das Wahrzeichen der UNO in Genf.
In diesem Gebäudeteil befindet sich der größte Sitzungssaal.
Dies ist einer der ältesten Säle und beherbergte den Sicherheitsrat des Völkerbundes. Hier tagt auch die Kommission, die über Entwaffnungsinitiativen berät. Die Wände sind von den bedeutungsvollen Bildern eines spanischen Malers bedeckt.
Dieses ist der größte und wohl auch der modernste Sitzungssaal.
Der junge Mann, welcher die Führung leitet, hat seinen Text sorgfältig vorbereitet und trägt die auswendig gelernten Sätze mit großer rhetorischer Geste vor. Im Laufe der Zeit geht mir der Vortrag ziemlich auf den Wecker. Was mich daran stört, ist mir auch schon gestern bei den Kommentaren zur Stadtrundfahrt aufgestoßen. Die Referate über die unterschiedlichen Organe der UNO und ihre Tätigkeit blenden die damit verbundenen Probleme vollständig aus. In diesem Weltbild kümmert sich jede dieser Organisationen problemfrei, reibungslos, effektiv und erfolgreich um die unterschiedlichen Probleme der Menschheit. Die Flüchtlingsorganisation nimmt sich der Vertriebenen an, die Weltgesundheitsorganisation stellt durch Impfungen sicher, dass soundso viele Millionen Kinder überleben. Andere Organe widmen sich den Armen der Welt. In diesem Verständnis ist Genf der Nabel der Welt, denn von hier werden die Geschicke der Menschheit gesteuert und alle großen Probleme durch Zusammenarbeit gelöst. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sich viele Genfer und diese Reiseführer im Besonderen für Diplomaten zu halten scheinen. Wenn das alles so ist, beginnt man sich zu wundern, warum es all die Probleme überhaupt noch gibt. In dieser Genfer-See-Idylle kommt nicht vor, dass die UNO einer enormen Reformbedarf, das der Multilateralismus spätestens seit dem Irakkrieg in einer tiefen Krise steckt und das die Arbeit der UNO mit erheblichen Problemen behaftet ist und die unterschiedlichen Organisationen ständig an sich selbst scheitern. Und die wichtigsten Probleme der Welt scheinen nirgends so weit weg zu sein wie in dieser satten, hochmütigen und selbstzufriedenen Stadt am Genfer See.
Als die Führung vorüber ist, fahre ich mit dem Bus in die Stadt. Ich habe gehört, dass man am Hauptbahnhof Fahrräder ausleihen kann. Hier erfahre ich, dass man ein Rad kostenlos bekommt, wenn man es am gleichen Tag zurückbringt. Behält man es länger, wird es allerdings schnell sehr teuer. Einer der Mitarbeiter gibt mir einen Tipp, wo ich günstig ein gebrauchtes Rad kaufen kann.
Nach einem kleinen Snack in einer Imbissstube laufe ich noch eine Weile am Ufer des Sees entlang, wo im milden und sonnigen Herbstwetter zahllose Menschen unterwegs sind. Anschließend begebe ich mich wieder nach hause.