Donnerstag und Freitag bin ich dann wieder bei den Sitzungen in den UN. Es finden wenig Plenarsitzungen und viele informelle Treffen statt. Es ist nicht leicht, den vielen parallel verlaufenden Prozessen zu folgen und ich bin beeindruckt, wie es den Teilnehmern gelingt, den Überblick über den Verlauf der Verhandlungen zu behalten. Dieser ist sehr technisch und zum Grossteil bestehen die Verhandlungen daraus, abzutasten, welche Artikel und welche Formulierung für die andere Seite annehmbar sind. Gelegentlich kommt es zu dramatischen Entwicklungen. Zum Beispiel wird bekannt, dass ein Grossteil der sonst eher schweigsamen europäischen Regierungen sich kurz vor Mitternacht auf die Seite Großbritanniens schlägt und es grundsätzlich ablehnt, Gruppenrechte als Menschenrechte zu akzeptieren, was letztlich nur eine Ablehnung der Erklärung als ganzer zur Folge haben kann. Das ereignet sich kurz vor Mitternacht am Donnerstag und in einem Sitzungssaal, der bis kurz vorher nicht bekannt gegeben worden war. Es scheint, dass diese Intervention seit Wochenbeginn geplant und Ausdruck einer eher zynischen Verhandlungsstrategie ist. Ich erinnere mich daran, dass der deutsche Botschafter gestern sagte, dass europäische Regierungen sich zunehmend darum bemühen, mit einer Stimme zu sprechen und vermute, diese Position ist ein Ausdruck dieser Bemühungen. Angesichts der Vielzahl von gleichzeitig stattfindenden Sitzungen entscheide ich mich meistens für die Treffen, in denen Vertreter Asiens sich abstimmen und verhandeln.
Der Zynismus und die Ungerechtigkeit der Verhandlungssituation sind mit Händen zu greifen. Hier sitzen Vertreter von Staaten wie den USA oder Australien, die auf Territorium gegründet sind, welches sie den angestammten Bewohnern geraubt haben. Dabei haben sie nicht nur deren Rechte missachtet, sondern mit den hässlichsten Methoden systematisch versucht, sie zunächst auszurotten und später zu assimilieren. Heute verstehen sich diese Länder als Einwanderungsländer und tun so, als wären alle Buerger eines Tages freiwillig immigriert. Dabei verschweigen sie, dass etwa nicht alle Buerger Amerikas eingewandert sind, sondern andere Gruppen zuvor dort selbstregierte Gesellschaften gebildet haben. Deren Mitglieder sind nicht nach Amerika gekommen, sondern Amerika zu ihnen. Sie haben nicht darum gebeten, Buerger dieser Länder zu werden. In anderen Weltgegenden sind diese Prozesse anders verlaufen, aber es gibt wichtige Parallelen. In weiten Teilen Asiens und Afrikas etwa haben Kolonialmächte ihre Reiche in Verwaltungseinheiten aufgegliedert und die Grenzen zwischen diesen waren zunächst nichts als Linien auf kolonialen Karten. Das war zunächst kein Problem, denn kein Vertreter der Kolonialmächte war je in diese Gegenden gekommen und das Leben der Mitglieder unterschiedlicher Völker innerhalb dieser Gebiete änderte sich oft nicht, sofern die Gruppen weiterhin in Isolation von der dominanten Gesellschaft lebten. Die Probleme begannen oft erst, nachdem durch die Entkolonialisierung unabhängige Länder entstanden, die als moderne Nationalstaaten alle Menschen auf ihrem Territorium in ihre nationalen Gesellschaften zu integrieren versuchten, oft unter massiver Anwendung von Gewalt und Zwang. Mitglieder zuvor unabhängiger und selbstregierter Gruppen fanden sich als Minderheiten in Nationalstaaten wieder, ohne je um Mitgliedschaft in deren Gesellschaften gebeten zu haben. Oft unterscheiden sich diese Prozesse nicht wesentlich von der Kolonialisierung, nur dass sie innerhalb von Staaten verlaufen. Die von europäischen Mächten kolonialisierten Gesellschaften haben ihre Unabhängigkeit zurückerhalten und es ist weithin anerkannt, dass sie ihnen zuvor unrechtmäßigerweise genommen wurde. Im starken Gegensatz dazu sind Völker innerhalb dieser Länder weiterhin besetzt und fremdbestimmt, ohne dass davon oft Notiz genommen wird. Praktisch in allen Ländern gehören die Mitglieder dieser Gruppen zu den ärmsten Segmenten der Gesellschaft und die Quelle dieses Missstandes ist vor allem ihre fortgesetzte Entrechtung. Und hier sitzen die Vertreter diesen Völkern Regierungen gegenüber, die nicht ihre sind, aber die Herrschaft über sie beanspruchen. Diese Regierungen unterstreichen fortwährend die Bedeutung ihrer territorialen Integrität, schweigen aber lieber darüber, dass ihre Staaten auf dem Territorium anderer Völker gegründet sind. Der Gipfel des Zynismus ist dann ihre Annahme, dass nur Individuen, jedoch nicht Gruppen Rechte haben. Schließlich haben diese Staaten Gruppenrechte zuvor in ihren Händen monopolisiert und Ausdruck dieser Tatsache ist es, dass hier Regierungen unter sich die Rechte indigener Völker verhandeln, während deren Mitglieder nur zusehen und kommentieren dürfen.
Für den Abend hat die norwegische Delegation zu einem Empfang eingeladen. Dieser findet in Räumen der UN unter dem Dach statt, mit grandiosem Blick auf den See, Genf und die Berge. Dieser Empfang dient offenbar auch dazu, aufzuzeigen, wie vorbildlich das Land mit seiner indigenen Gruppe, den Sami, umgeht. Sami leben heute in einem Gebiet, das sich von Norwegen über Finnland bis nach Russland streckt und haben erheblich Selbstregierungsrechte und ein eigenes Parlament. Während der ganzen Woche bin ich meistens mit den Fellows unterwegs sowie mit Rukka, einer jungen Repräsentantin indigener Völker in Indonesien. Rukka macht viele Fotos und hat sie mir netterweise zur Verfügung gestellt.
Sami Repräsentant hält Rede.
Rechts Victoria Tauli-Corpuz, die den meisten indigenen Sitzungen vorgesessen hat und eine Art Verhandlungsführerin der indigenen Seite ist. Sie arbeitet für die Tebtebba Foundation, eine der wichtigsten indigenen NGOs. In der Mitte ein Vertreter aus Costa Rica, deren Namen ich nicht kenne.
Rechts Matthias, der hier die Sami vertritt und in Verhandlungen ausgesprochen stark und informiert auftritt. Links Victoria und rechts von ihr Ratnaker aus Indien, ein fitter Anwalt, der für IWGIA arbeitet, eine andere wichtige NGO.
Links eine Sami Frau die ich nicht kenne und rechts Davashish Roy, auch ein Anwalt, der aus Bangladesh kommt und für IWGIA arbeitet.
Rechts ein anderer Vertreter aus Bangladesh, links davon eine Repräsentantin der japanischen Regierung, zwei Repräsentanten der Ainu in Japan, und links ein Vertreter aus dem Tibet.
Links Jocelyn Nettleton, die für Tebtebba arbeitet und eine bekannte Aktivistin ist, die auch wichtige Arbeit im Zusammenhang mit der World Commission on Dams geleistet hat.
Ein Professor der Politikwissenschaft aus Japan, umgeben von den beiden charmanten Regierungsvertretern aus Japan.
Rechts ein Vertreter von den Philippinen.
Freitag gibt es am Morgen eine kurze Plenarsitzung und anschließend viele informelle Treffen. Die abschließende Diskussion im Plenum ist für 15 Uhr geplant, wird dann jedoch eine Stunde verschoben, weil der Vorsitzende sich noch mit verschiedenen Regierungen berät. Auf der anderen Seite bemühen sich die Vertreter indigener Völker um eine geeinte Position, während unsicher ist, ob diese noch Eingang in den abschließenden Bericht des Vorsitzenden finden wird. Dieser wird dann kurz vor 16 Uhr vorgelegt und besteht aus nur zwei Seiten. Im Kern besteht die Aussage darin, dass ein Konsens in Bezug auf viele Artikel hergestellt werden konnte und für andere Artikel nach weiteren Diskussionen zu erwarten ist. Daher wird eine Verlängerung des Mandats der Arbeitsgruppe empfohlen, um die Verhandlungen in 2005 fortzusetzen und die Erklärung schließlich anzunehmen. Viele der Leute, mit denen ich spreche finden den Bericht angesichts der vorangegangenen Diskussionen eher positiv. Während viele Teilnehmer eine dramatische finale Sitzung erwartet hatten, sind die letzten Diskussionen wieder eher technisch. Es geht vor allem um den genauen Wortlaut des Berichtes und zum Beispiel die Frage, ob der Hungerstreik erwähnt werden soll, was vor allem von Russland und den USA zu verhindern versucht wird. In vielen Fällen ist mir nicht klar, welchen Unterschied die alternativen Formulierungsvorschläge überhaupt machen. Kurz vor 18 Uhr gibt dann das für die Übersetzung zuständige Büro bekannt, dass die Übersetzer ihre Arbeit um 18 Uhr einstellen werden. Das liegt vor allem daran, dass diese Treffen den Ruf haben, bis lange in die Nacht fortgesetzt zu werden. Um 18 Uhr wird die Übersetzung tatsächlich abgebrochen und man sieht, wie sich die Übersetzer in ihren Kabinen die Mäntel anziehen. Der Vorsitzende sagt, man habe schon öfter Berichte ohne Übersetzung angenommen und setzt das Treffen fort, indem er seine Ansagen nacheinander in Englisch, Französisch und Spanisch vorträgt. Als er fast fertig ist, wird das Licht im Saal ausgeschaltet, um mit Nachdruck daran zu erinnern, dass die Sitzung jetzt beendet werden muss.
Schoen, dass ich mal wieder Zeit hatte, auf Deine Seite zu schauen. Vermissen Dich hier in Kambodscha, Stefan! Email folgt.
Rechts ein Vertreter von den Philippinen.
Man kann es auch uebertreiebn mit der Bescheidenheit mein Lieber.
Die Eindruecke von Deinen Erlebnissen in Geneva sind interessanter als die resultierende Zusammenfassung fern vom Ort des Geshehens.
Teilweise gleicht der Text einem Aufklaerungsappell aber ich bin froh ihn gelesen zu haben.