Heute ist mein erster Arbeitstag und ich bin um 9:30 Uhr beim UNHCR verabredet. Vorher allerdings muss ich noch den Umzug in das John Knox Center bewerkstelligen. Um 7 Uhr stehe ich auf, packe meine zahlreichen und schweren Taschen und wuchte sie die Treppe runter. Hier wartet schon das Taxi, welches ich gestern bestellt habe, um nicht mitten in der Nacht mit dem Bus und all dem Gepäck fahren zu müssen. Die Fahrt dauert ungefähr eine halbe Stunde und kostet 40 Franken. Da ich später dieselbe Strecke mit dem Bus in 10 Minuten fahre, gewinne ich den Eindruck, der Taxifahrer sich hier mit einer Extratour ein Trinkgeld erschlichen. Diese Unterkunft ist in ummittelbarer Nähe meines Arbeitsplatzes. Ironischerweise muss ich die ersten Tage zum UNHCR, welches in unmittelbarer Nähe der Unterkunft ist, die ich grad verlassen musste.
An der Rezeption des John Knox Center erfahre ich, dass ich zwar bis Samstag bleiben kann, mein Zimmer allerdings erst nachmittags frei wird. Daher suche ich mir eine Toilette zum Umziehen, packe meine Taschen um und lasse sie an der Rezeption. Ich laufe zum Bus und fahre zum Hauptbahnhof, von wo ich zu Fuß zum Palais Wilson laufe, dem Sitz des UNHCR. Da ich viel Zeit habe, kann ich noch eine Weile am Seeufer entlanglaufen. Am Eingang treffe ich die drei ‚Indigenous Fellows’, indigene Personen aus Indien, Japan und Surinam, die am ‚Indigenous Fellowship Program’ der ILO teilnehmen. Für die nächsten Wochen habe ich das Privileg, an den Briefings teilzunehmen, die die Fellows von Vertretern unterschiedlicher Organisationen erhalten. So auch heute. Ich werde hier nicht in die Details gehen.
Die Mittagspause nutze ich, um potentielle Vermieter anzurufen und um bei zwei Herbergen vorbeizulaufen. Leider sind diese Bemühungen erfolglos. Nach der Arbeit begebe ich mich zum Geneva Welcome Center, einer lokalen Organisation, die Vertretern internationaler Organisationen den Einstieg in Genf erleichtern soll. Ich bekomme eine Reihe Informationen und einige Kontakte zu Leuten, die Räume ihrer Wohnungen untervermieten. Insgesamt ist mein Eindruck, dass sich dieser Besuch gelohnt haben könnte, und die Informationen vielleicht nützlich sind.
Am frühen Abend komme ich dann in meiner neuen Unterkunft an. Obwohl ich keine hohen Ansprüche habe, ist der erste Eindruck von meinem Zimmer eher enttäuschend. Der zweite auch. Es handelt sich um einen sehr kleinen Raum im Keller, dessen Wände aus nacktem Beton bestehen. Es gibt kein Bild oder dergleichen und insgesamt wirkt das Ding eher wie eine Gefängniszelle. Vielleicht am Schlimmsten: wenn die Lampe aus ist, ist der Raum praktisch dunkel. Es gibt nur ein sehr flaches Fenster kurz unterhalb der Decke, durch welches aber kaum Licht eindringt.
Wenigstens habe ich Gesellschaft.
Den Unterlagen auf dem Tisch entnehme ich, dass John Knox, der Namensgeber dieser offenbar religiösen Einrichtung, ein Weggefährte von Calvin war. Calvin hat nach meinem Wissen den Calvinismus begründet, eine protestantische Sekte die sich durch die Betonung einer spartanischen Lebensweise auszeichnet. Das erklärt einiges. Auf dem Tisch liegt eine dreisprachige Ausgabe des Neuen Testaments.
Hinter diesem Fenster ist mein Zimmer. Das untereFenster, wohlgemerkt. Leider bin ich grad nicht sicher, was ich dafür bezahle. So oder so, ich entschließe mich, den Preis morgen nachzuverhandeln.
Nachdem ich Abendbrot gegessen habe, unternehme ich einen kleinen Spaziergang in die Umgebung. Außer den Gebäuden verschiedener internationaler Organisationen gibt es hier draußen vor allem Villen und sogar einige landwirtschaftliche Betriebe. Alles ist sehr grün und der See zusammen mit den Bergen am anderen Ufer bilden eine reizvolle Kulisse für den Sonnenuntergang.
Als ich wieder ankomme, treffe ich Walter, einen der indigenen Fellows, der auch hier untergebracht ist. Wir unterhalten uns eine ganze Weile über sein Land (Surinam), seine Familie, sein Volk und seinen Lebenslauf. Auch Walter findet, dass sein Zimmer wie eine Gefängniszelle aussieht. Und er muss es wissen, denn er hat nach der Oberschule als Wärter in einem Knast gearbeitet.
Später rufe ich noch bei einigen potentiellen Vermietern an, allerdings ohne Erfolg. Ich gehe zeitig ins Bett, da ich mich morgen vor der Arbeit kurz bei der ILO vorstellen möchte.